Ehrenamtlich helfen beim Schriftverkehr mit Ämtern und Behörden. Noch ist die Nachfrage aber gering.
Eberhard Brugger schüttelt noch immer ungläubig den Kopf. „Diese Frau war geistig vollkommen da. Aber sie hatte eine besondere Art, die Post zu erledigen“, sagt der 71Jährige. Wann immer ein Brief gekommen sei, habe sie diesen einfach in eine Wäschewanne gelegt. „Auf die Weise hatten sich mit den Jahren drei bis vier Körbe voll Post angesammelt“, erinnert sich Brugger. Er half der Dame damals, die vielen Schreiben zu sortieren und auszumisten, beziehungsweise wegzuheften. Denn der Rentner ist einer von rund einem Dutzend Kümmerer im Stadtbezirk Möhringen.
Vor rund zwei Jahren rief die Initiative Lebensraum MöhringenFasanenhof-Sonnenberg (Ilm) das Projekt ins Leben. Die Geschäftsführerin Birgit Keyerleber war zuvor immer mal wieder auf das Problem angesprochen worden. Zum Beispiel von der Diakonieschwester. „Die kommt ins Haus zu den älteren Menschen und sieht natürlich die Postberge. Aber sie kann nichts machen, weil sie für die Pflege zuständig ist und keine Zeit hat, Briefe zu sortieren“, sagt Keyerleber. Schon damals habe es eine ähnliches Initiative in Esslingen gegeben. „Dort haben wir uns ein wenig informiert.“
Das Projekt „Der Kümmerer“ richtet sich vor allem an ältere Menschen. In manchen Ehen ist jahrzehntelang einer für die Post zuständig. Wenn dieser erkrankt oder verstirbt, ist der Ehepartner in vielen Fällen überfordert. Auch Menschen mit einer Behinderung brauchen oft Hilfe. Zum Beispiel dann, wenn jemand schlecht sieht und das Kleingedruckte in Briefen vorgelesen bekommen muss. „Wir können allerdings nur aktiv werden, wenn es noch keine gesetzliche Betreuung gibt“, betont Keyerleber. Die Klienten der Kümmerer müssen die Schriftstücke selbst unterschreiben.
Irene Mayer besucht jeden Montag eine ältere Dame und sortiert gemeinsam mit ihr die Post. Mayer legte neue Ordner an, um alles übersichtlicher zu gestalten. Und sie kündigte im Einvernehmen mit ihrer Klientin deren Unfallversicherung. „Eine 86Jährige, die kaum noch vor die Tür gehen kann, braucht so was eigentlich nicht mehr“, sagt Mayer. Derzeit versucht sie im Namen der alten Dame die Garage abzugeben. „Die Frau hat gar kein Auto mehr“, sagt Mayer. Es gehe aber nicht nur um Papier. „Die Dame freut sich immer, wenn ich sie besuche. Das ist für sie eine willkommene Abwechslung“, sagt Mayer. Doch das ist nicht immer so. Keyerleber erinnert sich an einen besonderen Fall. Von Dritten waren die Kümmerer damals gebeten worden, einem alten Mann zu helfen. Doch dieser wollte das am Anfang gar nicht. „Unserer Kümmerer stand mehrfach vor der verschlossenen Tür“, sagt Keyerleber. Erst nach und nach sei es ihm gelungen, Vertrauen zu dem Mann aufzubauen.
„Doch schließlich war unser Kümmerer der einzige, dem dieser Mann überhaupt vertraute“, sagt Keyerleber. Die Beziehungsarbeit sei bei dem Projekt wichtig. Das Vertrauen ist der Knackpunkt. Die Kümmerer suchen neue Kundschaft. „Bislang sind die Nachfragen dünn gesät“, gibt Keyerleber zu. Das Projekt sei noch nicht so wie gewünscht in der Bevölkerung angekommen. Irene Mayer vermutet, dass sich manch einer vielleicht auch nicht traut, sich bei der Ilm zu melden und um Hilfe zu bitten. Eben weil das Vertrauen fehlt. Vielleicht aber auch, weil die Senioren sich nicht eingestehen wollen, dass sie es allein nicht mehr schaffen.
Die Kümmerer sind sich sicher, dass der Bedarf für ihr Projekt da ist. „Aber wie sich die Situation derzeit darstellt, ist es unbefriedigend“, sagt Gisela Bischof-Wilhelm, die als Ehrenamtliche das Projekt zusammen mit Keyerleber leitet. Es bestehe die Gefahr, dass die Kümmerer wieder ab springen, und das wäre schade.
(Alexandra Kratz)
Mit freundlicher Genehmigung der Filderzeitung vom 22.10.2015
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